Zurück weist das Bild vom in der Form ruhenden Körper, der noch ganz im traumhaften Werden ist. Dieses ur-typische Bild wird zur Erinnerung. Sie wird unverlierbar sein. Denn mit ihm umgibt uns die Wärme ursprünglicher Geborgenheit, in der wir zu Hause waren, als wir am meisten des Schutzes bedurften. Es ist kein Hirngespinst, sondern die Gewissheit, dass das seidene Fädchen, an dem das Leben hängt, in aller Versponnenheit belastbar ist. <
Die Künstlerin scheint großes Vertrauen in dieses Fädchen zu setzen,
denn in der folgenden Reihe von Fotografien arrangiert sie den vom Leben verlassenen,
zerstörten Kokon in der freien Natur, wo er wie ein irritierendes Signal wirkt.
Sie testet sozusagen seine Bedeutung in neuen Kontexten.
Diese Kontexte sind öffentliche Orte, Teile der Außenwelt.
Dort sprechen die Kokons von der Existenz einer innerlichen Welt.
Innen und Außen treten in einen Dialog und können einander gegenseitig befragen.
Der Kokon auf dem reifenden Maisfeld könnte z.B. herausfordernd fragen,
ob die Pflanze der natürlichen Metamorphose folgt
oder einem der Wirtschaftlichkeit gehorchenden Laborentwurf.
Die Kokons auf den abgeernteten Getreidefeldern könnten an die Nützlichkeit dessen erinnern,
was übrig bleibt. „Blickt zurück, ihr habt Reife erlebt, habt Ernte eingebracht,
hinter euch liegen die Schalen, die ihr abgelegt habt. Gedroschenes Stroh,
das ihr in eurem Inneren schon längst zu Gold versponnen habt.”
Der Kokon auf den im Wald gestapelten Baumstämmen wirkt ebenso abgelegt und gefällt
wie seine stämmigen Brüder. Aber er wird schneller in die organische Welt hinein verrotten
als die Bäume, denen weitere Verwandlungen bevorstehen: Sie werden z.B. dazu beitragen,
dass Menschenwohnungen wohnlich gestaltet werden; auch sie werden Gehäuse auf Zeit sein.
Diese Kokons höre ich das Lied von verborgenen Leben der Pflanzen singen.
Es klingt z.B. nicht nur in den Platten von Stevie Wonder aus den siebziger Jahren
des letzten Jahrhunderts mit dem Titel „Journey Through The Secret Life of Plants” auf,
sondern beispielsweise auch in Goethes Arbeiten zur Metamorphose der Pflanze,
die ganz dem Faden folgen, den diese Ausstellung nachzuzeichnen versucht.
Der blinde Musiker Stevie Wonder besang seine Öffnung des großen Kokons mit den Worten:
„Born to open for Mankind Nature`s door,” singt er: „Geboren,
um für die Menschen die Tür der Natur zu öffnen.”
Und er staunte über die Tatsache, dass im winzigen Saatkorn der Keim aller Anfänge ruht.
Poesie liebt solche Verhüllungen und Enthüllungen.
Es wäre schade, hier nicht auch Goethe zu Wort kommen zu lassen, der bei aller genauen
naturwissenschaftlichen Beobachtung der Natur nicht vergaß, was ihr inneres Leben, ihre
Seele ist.
An seine Geliebte Christiane Vulpius richtete er 1798 in dem Gedicht
„Die Metamorphose der Pflanzen” die folgende Liebeserklärung,
codiert in die verborgene Sprache der Pflanzen:
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