Papiermuseum Gleisweiler

 
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Wenn der Blick weiter gleitet - auf die gegenüberliegende Wand - wird er unwillkürlich festgehalten von drei aus Papierschnüren und Draht gefertigten Nestern unterschiedlicher Größe, Höhe und Ausdehnung, die auf Stelen platziert sind. Irritierende Parallelen zum natürlichen Material stellen sich ein. Irmgard Potthoff nennt diese Objekte „Zuflucht”.

Jetzt wird es deutlich: Mit der Darstellung der Urform von Raum entsteht zugleich die Vorstellung von Geborgenheit und Nestwärme: der Ursprung des Lebens, geschützt und gefährdet zugleich.

Mit kleinformatigen Collagen appelliert die Künstlerin an unsere Sehgewohnheiten. Ausschnittartig werden Ansichten herangezoomt, fordern unsere Aufmerksamkeit: Im Flug werden Räume passiert, Wolkenformationen und Wolkenfetzen, tiefe Horizonte berühren das Meer, den Strand. Und dazwischen findet sich das Strandgut: Wortfetzen, einzelne Buchstaben und Bilder, deren zusammenhängender Sinn im Äther oder evtl. auch im „Datennirwana” verweht. So könnten zerstörte oder untergehende Medienlandschaften aussehen.
All das wird aus der Flugperspektive sichtbar: Die Welt von Nils Holgersson ist eine andere geworden.

Wenn Sepp Hiekisch-Picard vom Museum Bochum zu Irmgard Potthoffs Arbeiten bemerkt, dass diese „als sinnliche Anschauungsmodelle für eine meditative und assoziative Beschäftigung mit den Phänomenen von Zeit und Geschichtlichkeit” zu verstehen sind, trifft das auch auf ihre collageartigen Bildobjekte zu. „Zeit und Geschichte erscheinen (...) als geschlossene körperhafte Gebilde” [Kaunas 2007].

Um wieder zum Ausgangspunkt - zu Andreas Gryphius - zurückzukommen:
Jede Zeit sucht sich in der Geschichte die Bestätigung oder ihr Abbild. Andreas Gryphius gewann mit seinen Epigrammen und Sonetten besonders für die Generation an Bedeutung, deren Leben und Werte im vergangenen Jahrhundert zwischen zwei Weltkriegen gründlich auf den Kopf gestellt wurde. Es ging ihm nicht nur darum, die Vergleichbarkeit von Dinglichem und Geistigem, dem Zeitlichen und dem Ewigen zu entdecken, sondern durch die vermittelnde Kunst - und bei Gryphius ist es die Dichtkunst - das Übersinnliche im Sinnlichen offenbar werden zu lassen.
Der Ansatz von Andreas Gryphius hat auch für die Generation, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit umwälzenden Ereignissen anderer Art konfrontiert wird, höchste Aktualität.
Diese Aktualität ist hier und heute in dem von Irmgard Potthoff mit den Mitteln der bildenden Kunst gestalteten Raum praktisch mit Händen zu greifen, haptisch erlebbar.

Einführung zur Vernissage der Ausstellung von
Irmgard Potthoff im Papiermuseum Gleisweiler/Pfalz
am 19. Juli 2009    © Ingrid Vetter

Literaturhinweise:    >weiter

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